Leidest Du immer wieder unter dem inneren Kritiker? Was ist darunter zu verstehen und wie entsteht er eigentlich?
Es sind unsere eigenen Gedanken, die alles in uns auf eine negative Weise beurteilen und kritisieren.
Es gibt viele Menschen, die Gedanken kennen wie 'ich bin nicht gut genug', 'Ich darf keine Fehler machen', 'ich kann das ja doch nicht', 'das klingt überhaupt nicht gut, wie ich spiele' etc.
Der innere Kritiker kann einem die Freude am Musizieren nehmen und es fällt uns dann schwerer, unser Spiel zu genießen, im Hier und Jetzt präsent zu sein oder so zu spielen oder zu singen, wie wir uns das wünschen. Es kann sich wie eine echte Blockade anfühlen.
Ich kenne das alles selbst sehr gut und teile mit Dir, woher diese Gedanken eigentlich kommen und was aus meiner Erfahrung der sinnvollste und wirksamste Weg ist, um damit umzugehen.
Der innere Kritiker ist nur ein Symptom von etwas tiefer liegendem.
Dieses Leiden hat mit Entwicklungs- und Bindungstrauma oder einer Art Beziehungsverzerrung in der Kindheit zu tun. Eine Möglichkeit in den frühen Kindheitsjahren ist, die Energie von Wut und Aggression, die eigentlich nach außen gerichtet als angemessene Reaktion auf eine bedrohliche Situation, in den mentalen Raum zu lenken.
Im Prinzip kann man sagen, das hängt mit der Traumastruktur zusammen, es ist die Eltern-Bewertung bzw der Bezugspersonen. Diese sagten vielleicht Dinge wie: 'Alles muss perfekt sein'.
Du musst Dir vorstellen:
Du bist ein Kind, dessen Nervenbahnen noch offen liegen und dann mit den Erfahrungen erst verschaltet werden. Wenn Dir dann auf eine harte Weise ständig gesagt wird: Du bist richtig, wenn Du total perfekt bist und Du bist falsch, wenn Du hier nur einen kleines bisschen abweichst - dann glaubst Du als Kind dann: ah, so ist das Leben. Ich bin gut, wenn ich alles perfekt mache.
Wir setzen uns sozusagen das Mutter- oder Elterndenken in den Kopf, weil wir haben da ja nichts, und wir müssen erstmal eine Orientierung finden, wie wir in dieser Welt zurecht kommen. Wenn die Eltern allerdings solche Vorgaben machen, dann wird es verständlicherweise anstrengend.
Wir brauchen das natürlich bis zu einem gewissen Grad. Jedem Kind muss ich beibringen, was nicht ok ist und was es machen darf. Aber es kommt immer darauf an mit welcher Härte, mit welcher Enge. Sätze wie: wenn Du das machst ist das ganz schlimm, dann liebe ich Dich nicht mehr oder es wird mit noch schlimmerem gedroht - dann gibt man dem Kind ganz viel Stress ins System.
Und wenn das passiert, dann hast Du das natürlich im Kopf.
Wie Du Dich vom inneren Kritiker befreist
Zuerst einmal: veruteile Dich nicht dafür, dass Du das in Dir hast. Dieses 'richtig-falsch-Denken' ist schon eine energetisch einer der schwierigsten Strukturen, die wir in uns haben.
Es geht zunächst mehr darum, dass diese erstmal richtig ins Bewusstsein kommt und da wie eine Lücke und Distanz entsteht, dass Du merkst, dass es eine Bewertung ist.
Das sind die von Dir übernommenen Gedanken, die aber nicht zu Dir gehören. Es braucht dann Zugang zur eigenen Wut und Aggression, um sich davon abzugrenzen. Denn die Gedanken sind gegen uns selbst gerichtet, die wir nach außen umlenken müssen.
Natürlich willst Du gut spielen und sehr konzentriert präsent in der Musik sein. Es geht nur darum, sich von dieser Art Peitschenschläge von 'ich muss das richtig machen, sonst ist es ganz schlimm und ich bin nichts mehr wert' freizumachen.
Außerdem ist wichtig zu wissen:
Es gibt in der klassischen Musik oder im Jazz einen Kritiker, es gibt einen gesellschaftlichen Kritiker. Dieser Struktur begegnen wir überall, und besonders in sogenannten Leistungsgesellschaften.
Das ist etwas, das gemacht ist, was sich entwickelt hat in den Gesellschaften. Man braucht es ein Stück weit, aber wir leiden darunter, weil dieses 'richtig und falsch' Dimensionen angenommen hat, die ja völlig ins Unmenschliche gehen.
Zu realisieren, dass das mit dem inneren Kritiker vollkommen irreal ist, dafür braucht es erstmal Bewusstsein.
Wenn Du bei Dir bist, dann weißt Du: ich spiele gut.
Vielleicht hast Du das Gefühl, es wie zu vergessen, wenn diese Stimmen kommen. Und dann gilt es das zu erkennen, dass Du da drin bist.
In die Handlungsfähigkeit kommen
Es ist absolut notwendig und wichtig, dass Du handlungsfähig wirst und Dir Deine Energie zurückholst an diesem Punkt. Das bedeutet, erstmal zu erkennen, dass Du da völlig drin gefangen bist, und dann sagst: Stop. Jetzt machen wir mal einen Punkt. Dann bist Du schon wieder in Deiner Ermächtigung.
Sage Dir laut: ich spiele gut. Punkt.
Alle anderen Stimmen: Raus! Das ist alles krankes Zeug. Den Kritiker der klassischen Musik (oder des Jazz-/Pop) musst Du vielleicht auch mal ein Stück wegstellen.
Körperwahrnehmung
Ein weiterer Weg, um weg von den ständigen Bewertungen und mehr in Kontakt mit der Musik zu kommen, ist die Körperwahrnehmung zu schulen. Wie gesagt, haben wir uns von Gefühlen und unserem Körper abgespalten und die Energie in den mentalen Raum gelenkt. Je mehr wir wieder die Körperempfindungen wahrnehmen können und unseren Körper wirklich bewohnen, desto ruhiger wird es in unserem Kopf, wir sind präsent im Hier und Jetzt.
Wenn Du im Moment anwesend bist und das wahrnimmst, was gerade passiert (vor allem im Körper), ist es fast unmöglich, gleichzeitig zu denken. Du lebst, atmest, fühlst Musik - und sonst nichts. Der Kritiker ist von alleine still.
Um das zu probieren, kannst Du Dich beim Musizieren folgendes fragen:
Was nehme ich im Körper an Empfindungen wahr?
Spüre ich meine Füße und den Kontakt zum Boden?
Wie sieht die Umgebung aus?
Wie klingt der Raum?
Wenn Du den inneren Kritiker ausgeladen hast, ist Raum entstanden für etwas Neues, für freieres Musizieren.
Abschließend sei gesagt: der innere Kritiker macht heute keinen Sinn mehr, er ist für Dein Leben komplett irrelevant. Du brauchst ihn heute nicht mehr. Und es gibt viele Wege, sich davon zu befreien.